Praxisvertretung – Arbeitnehmer wider Willen?

Eine Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Köln (Beschl. vom 06.05.2022, Az. 9 Ta 18/22) gibt Anlass, zur Vorsicht bei Praxisvertretungen zu raten. Gerade in den vergangenen Jahren wird eine selbstständige oder freiberufliche Tätigkeit von ärztlichen Kollegen außerhalb gesellschaftsrechtlicher Zusammenschlüsse immer riskanter.

Das betrifft nicht nur Praxisvertretungen, sondern auch Honorarärzte. Neu ist das Risiko nicht, es verfestigt sich allerdings immer mehr, auch mit dieser aktuellen Entscheidung. Das Risiko besteht darin, dass die vermeintlich selbstständigen Kollegen als Angestellte qualifiziert werden. Das kann erhebliche Folgen haben, z.B.:

  • Nachzahlung von Sozialabgaben nebst Zinsen und Säumnisgebühren für regelmäßig vier Jahre
  • Kündigungsschutz
  • Weitere Arbeitnehmerrechte, wie Urlaubsanspruch, Mindestlohnanspruch
  • Im Worst Case strafrechtliche Folgen und konkret für den ärztlichen Bereich, wie diese Entscheidung zeigt, auch Abrechnungsfehler mit allen Folgen

Im vorliegenden Fall schloss eine Ärztin, veranlasst durch ihre Erkrankung, einen Praxisvertretungsvertrag. Vereinbart wurde eine Tätigkeit des Vertreters auf Rechnung der Ärztin in ihrer Praxis in einem festen Zeitraum zu einem Stundensatz von 100,00 EUR und einer Prämie in Höhe von 50% des erbrachten oder verordneten IGEL-Umsatzes. Es wurde ausdrücklich eine „freiberufliche" Tätigkeit vereinbart und die Verpflichtung des Vertreters, selbst die Steuern und Sozialbeiträge abführen. Zudem wurde er zur Einhaltung fester Praxis-„Einsatzzeiten" verpflichtet.

Wie häufig wurde der Fall zum Problem, als sich die Parteien stritten. Die Ärztin kündigte dem Vertreter fristlos. Dieser klagte gegen die Kündigung beim Arbeitsgericht und trug nun vor, dass er Arbeitnehmer sei. Das Landesarbeitsgericht gab ihm Recht, denn zwingende gesetzliche Regelungen für Arbeitsverhältnisse können nach der ständigen Rechtsprechung nicht dadurch abbedungen werden, dass eine Tätigkeit einfach anders bezeichnet wird. Die Folgen für die Ärztin waren umfangreich. U. a. musste sie Sozialversicherungsabgaben nachzahlen und die Kündigung vor dem Arbeitsgericht rechtfertigen, was ungleich schwieriger als bei selbständig tätigen Personen ist. Das Gericht fällte seine Entscheidung aufgrund einer Gesamtschau aller Umstände der Zusammenarbeit. Hier sprachen die Umstände eindeutig für ein Arbeitsverhältnis. Auch dass der Vertreter sich laut Vortrag der Ärztin als „Chef“ geriert habe, Arbeitszeiten von Mitarbeitern geändert und Möbel in der Praxis umgeräumt habe, änderte nichts an seiner Einordnung als Arbeitnehmer. Anm.: Eine zutreffende Einordnung ist bei normaler Risikoaffinität also zu empfehlen, da viele der o.g. Folgen der Arbeitgeber trägt.

Quelle: Dr. Dirk Erdmann, Landesverband Nordrhein Freier Verband Deutscher Zahnärzte e.V. (FVDZ), unter Bezug auf Heller:Kanter Rechtsanwälte, Partnerschaftsgesellschaft mbB, 50968 Köln, Dr. Anna-Maria Kanter, Rechtsanwältin Fachanwältin f. Arbeitsrecht, Fachanwältin f. Medizinrecht

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