Kammerversammlung: Scharfe Kritik an Aligner-Start-ups und iMVZ

Beim Zusammentreffen der Delegierten im Juni in Düsseldorf wurde die Politik aufgefordert, gegen Spekulanten in der Zahnmedizin vorzugehen.

Irgendwann, so berichtet eine junge Zahnärztin in der Politiksendung „Panorama“, müsse man auch gesunde Zähne anschleifen, um den Umsatzzielen des Arbeitgebers gerecht werden zu können. Eine Aussage, die im Widerspruch zu allen ethischen Grundsätzen der Zahnmedizin steht und die die junge Zahnärztin inzwischen bereut. Doch hierbei handelt es sich nicht um einen Einzelfall. Viele Mitarbeiter in investorengetragenen Medizinischen Versorgungszentren (iMVZ) berichten von ähnlichen Fällen. Zahnmedizin wird zum Geschäft, egal um welchen Preis.

Für Dr. Ralf Hausweiler, Präsident der Zahnärztekammer Nordrhein, ist dieser Zustand nicht hinnehmbar, wie er in seiner Rede bei der Kammerversammlung am 11. Juni in der Apobank-Zentrale in Düsseldorf erklärte: „Patientenbezogene heilberufliche Tätigkeiten dürfen nicht in Gewerbebetrieben durchgeführt werden!“ In den vergangenen Jahren hat sich das Problem noch einmal deutlich verschärft. Gab es 2015 bundesweit 28 MVZ, waren es Ende 2021 bereits 938, ein Drittel davon betrieben von Investoren. In Hinblick auf diese Entwicklung warnte Dr. Wolfgang Eßer, Vorstandsvorsitzender der KZBV, vor einer Monopolisierung der Zahnmedizin.

Dr. Hausweiler: „Es darf so nicht weitergehen für Spekulanten, die in Deutschland Praxen schlucken“

Doch vonseiten der Politik sind bislang keine Bemühungen erkennbar, sich diesem Problem anzunehmen. Längst hätte sich nach einstimmigem Beschluss der Gesundheitsministerkonferenz vom 4./5. November 2021 eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe mit der Sachlage auseinandersetzen und Vorschläge zur Regulierung erarbeiten sollen. Doch bislang wurde diese besagte Arbeitsgruppe vom Bundesgesundheitsministerium noch gar nicht einberufen – ebenso wenig ist eine Einberufung zeitnah geplant, wie es kürzlich vonseiten des Ministeriums hieß.

„Es darf so nicht weitergehen für Spekulanten, die in Deutschland Praxen schlucken“, so Dr. Hausweiler. Constanze van Betteray von der Fraktion Verband der ZahnÄrztinnen+ und NewKammer schlug daher ergänzend zum politischen Engagement vor, potentielle Mitarbeiter der Versorgungszentren über die Probleme der Konstrukte zu informieren. „Wir sollten anfangen, den MVZ das Futter zu nehmen und die jungen Kolleginnen und Kollegen zu sensibilisieren.“

Dass Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) kürzlich bei einer KBV-Veranstaltung sagte, er habe das Problem im Blick, bietet aus Sicht von Dr. Hausweiler keinen Anlass für Optimismus. Grund dafür ist nicht zuletzt die Antwort des Ministers auf ein Schreiben von Dr. Ralf Hausweiler, in dem dieser Lauterbach um Unterstützung gegen die Aligner-Start-ups bat. Doch Lauterbach sehe – so die Antwort – derzeit keine Regulierungsnotwendigkeiten auf Bundesebene.

„Sind ihm die Vielzahl an Patientenbeschwerden – auch aus seinem Wahlkreis –, die wir inzwischen erhalten, an dieser Stelle nicht genug?“, so Dr. Hausweiler. „Die uns vorliegenden, teilweise erschreckenden Berichte von Patienten legen offen: Hilfesuchenden Patienten erhalten keine zahnärztliche Hilfe, wenn die Behandlung in einem Aligner-Start-up zu einer schmerzhaften Erfahrung wird.“

Dass Kooperationszahnärzte eingebunden sind, heile das Konzept nicht: „Es ist ein Feigenblatt, mit dem Zahnmedizin nur vorgetäuscht wird“, sagte Dr. Hausweiler. Denn niemand wisse, wer sich die von den Patienten selbst via Smartphone-App aufgenommen Bilder ansehe. „Hilfsmittelhersteller werden zum Behandler, solch ein Geschäftsmodell gehört verboten“, forderte der Kammer-Präsident. Der Delegierte Dr. Karl Reck mahnte zudem, dass sich die Kollegenschaft für dieses Geschäftsmodell nicht missbrauchen lassen dürfe.

Aligner-Start-up: Kammer wendet sich an Staatsanwaltschaft

Um den Anbietern Einhalt zu bieten, ist die Kammer in den vergangenen Monaten sehr aktiv gewesen. Angefangen von einer Mitgliederinformation, in der vor einer Zusammenarbeit mit den Start-ups gewarnt wurde über zahlreiche Presseveröffentlichungen zur Warnung von Patienten – unter anderem in der Rheinischen Post, dem Handelsblatt sowie bei einem Thementag bei 1Live – bis hin zur Weitergabe von Fällen an die Staatsanwaltschaft.

Zudem fertigt die Kammer aktuell ein Rechtsgutachten an, um die Konzession der Deutschen Zahnklinik in Düsseldorf zu überprüfen. „Die Deutsche Zahnklinik ist ein Konstrukt, um die Geschäfte von DrSmile zu legalisieren“, so Dr. Hausweiler, „wir müssen diese Farce mitten in Deutschland und mitten in NRW beenden.“ Beim Vorgehen gegen die Aligner-Start-up gehe es aber auch um eine Prävention, bevor die Unternehmen weitere zahnmedizinische Leistungen anbieten. „Der Schritt zur Implantatbehandlung ist nicht mehr nur nah, sondern auch bereits geplant“, warnte Dr. Ralf Hausweiler die Delegierten.

Deshalb werde die Zahnärztekammer auch in Zukunft gegen die Anbieter vorgehen. Nachdem Strafbefehle gegen zwei angestellte Zahnärzte von DrSmile erlassen wurden, stehen im August dieses Jahres die Hauptverhandlungstermine an. Im Mai 2022 wurden drei weitere dokumentierte Patientenfälle an die Staatsanwaltschaft Düsseldorf wegen des Verdachts der Körperverletzung weitergeleitet. In diesen Fällen waren nun nicht angestellte Zahnärzte involviert, sondern Kooperationszahnärzte.

„Wir haben unsere Strafanzeige aber auch unmittelbar gegen die Verantwortlichen von DrSmile, also die Urban Technology GmbH und die DZK Deutsche Zahnklinik GmbH, gerichtet, und zwar wegen des Verdachts der unerlaubten Ausübung der Zahnheilkunde“, berichtete Dr. Hausweiler.

Bildquelle: Anne Orthen

 
 

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