
"Bei uns brennt es genauso wie an Bahnhöfen"
Stavros Avgerinos ist Zahnarzt in Oberhausen und Leiter der Verwaltungsstelle Duisburg. Zu seinem Arbeitsalltag gehören in den vergangenen Jahren vermehrt Konfliktsituationen dazu, weswegen er den Umgang damit drastisch verändert hat.
Schockierende Zahlen deckte eine Online-Umfrage der Kassenärztlichen Vereinigung im Jahr 2024 zum Thema Gewalt in Praxen auf. Körperliche Gewalt hat laut 48 Prozent der Teilnehmerinnen und Teilnehmer in den vergangenen fünf Jahren zugenommen. 80 Prozent der Befragten gaben an, im vergangenen Jahr bei ihrer Praxistätigkeit beschimpft, beleidigt oder mit Worten bedroht worden zu sein. „Diese Zunahme beobachte ich auch in Zahnarztpraxen“, bestätigt Stavros Avgerinos. Der 54-Jährige betreibt eine Praxis in Oberhausen und hat sich in der Landesgeschäftsstelle der KZV Nordrhein mit der RZB-Redaktion getroffen, um über dieses Problem zu sprechen. Avgerinos gibt dabei Einblicke in persönliche Fälle und berichtet, welche Konsequenzen diese nachgezogen haben.
Herr Avgerinos, vielen Dank, dass Sie sich die Zeit genommen haben. Seit 1998 führen Sie Ihre Praxis in Oberhausen. Wie oft wurden Sie in der Zeit mit Beleidigungen oder Gewaltandrohungen konfrontiert?
Stavros Avgerinos: Das ist schwer zu sagen. Früher kamen solche Situationen vielleicht ein paar Mal im Jahr vor, mittlerweile ein paar Mal im Monat. Von Kolleginnen und Kollegen höre ich ebenfalls, dass die Gewaltbereitschaft immer mehr zunimmt, wodurch sich manche nicht in der Lage fühlen, den Nachtdienst zu übernehmen.
Was denken Sie, woher diese negative Entwicklung kommt?
Avgerinos: Diese Entwicklung habe ich schon vor der Coronapandemie beobachtet, doch währenddessen hat sich der Ton nochmal deutlich verschärft und ist nicht mehr besser geworden. In der Gesellschaft herrscht mittlerweile eine ‚Grunddepression‘, wodurch die Zündschnur enorm kurz geworden ist. Dazu kommen die negativen Gefühle, die manche Patientinnen und Patienten mit dem Zahnarztbesuch verbinden, nicht nur die Angst vor der Behandlung, sondern auch vor hohen Kosten.
Welche Erfahrungen haben Sie persönlich in den vergangenen Jahren gemacht?
Avgerinos: Meistens bekommen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter am Empfang die volle Breitseite ab. Das reicht von ausfälligen Beleidigungen der übelsten Art bis zu Drohungen. Wir haben auch schon eine Warnung vom sozialpsychiatrischen Dienst in Oberhausen erhalten, weil unsere Praxis namentlich in einem Drohbrief eines Patienten mit einer psychischen Krankheit erwähnt wurde. Die Bedrohung wurde als so ernst eingestuft, dass uns empfohlen wurde, Sicherheitsmaßnahmen zu ergreifen.
Welche sind das?
Avgerinos: Wir lassen Personen nur noch hinein, nachdem sie geklingelt haben. So haben wir die Möglichkeit, durch die Glasscheibe zu sehen, wer dort hineinmöchte. Zudem haben wir von einer Fachfirma eine Kamera im Eingangsbereich installieren lassen. Ich finde es traurig, dass das nötig ist, denn mit einer Kamera verbinde ich ein gestörtes Vertrauensverhältnis zwischen Patient und Arzt, was eigentlich nicht sein darf.
Wie gehen Sie denn damit um, wenn sich Patientinnen oder Patienten in Ihrer Praxis aggressiv verhalten?
Avgerinos: Mein Verhalten hat sich mittlerweile sehr verändert. Früher habe ich solche Sachen abgetan nach dem Motto ‚Komm, der hat einen schlechten Tag erwischt, da gehen wir nicht drauf ein‘. Heute weiß ich, dass das falsch war. Ich bin der Meinung, dass ich mein Personal schützen muss, denn ich kann nicht wissen, wie sehr das aggressive Verhalten die Mitarbeiterin oder den Mitarbeiter triggert und ängstigt. Deswegen muss ich als Praxisinhaber reagieren und dem Patienten sofort Hausverbot erteilen und eventuell auch anzeigen.
Haben Sie konkrete Tipps für Kolleginnen und Kollegen, wenn sie zum ersten Mal eine solchen Situation erleben?
Avgerinos: Ich empfehle, die beiden Parteien räumlich voneinander zu trennen und ruhig mit der aggressiven Person zu sprechen. Das allein kann schon helfen. Wenn es dennoch nicht besser wird, stell ich die Person vor die Wahl: Entweder, wir einigen uns oder ich schlage den Rechtsweg ein. Solche Übergriffe müssen direkt gestoppt werden, denn wenn Menschen damit durchkommen, bestärkt sie das nur, und sie legen beim nächsten Mal wieder so ein Verhalten an den Tag.
Bekommen Sie mit, wie groß das Problem in anderen Praxen ist?
Avgerinos: Allerdings. Ich kenne Praxen in Oberhausens Zentrum, die noch deutlich schlimmere Fälle durchmachen mussten. Leider würde ich lügen, wenn ich sage, in Zahnarztpraxen ist Gewalt kein Problem. Bei uns brennt es genauso wie an Bahnhöfen. Das Gewaltpotenzial steigt und es kann jeden treffen. Deswegen müssen wir dringend etwas dagegen tun.
Was wünschen Sie sich als Maßnahmen?
Avgerinos: Es müssen viel mehr Kolleginnen und Kollegen Schulungsangebote wahrnehmen, wie man sich in Konfliktsituationen zu verhalten hat. Wir Zahnärztinnen und Zahnärzte sind angehalten, unseren Teams sicherheitsrelevante Inhalte zu vermitteln. Da gehört das für mich eindeutig dazu. So lassen sich auffällige Verhaltensweisen von Patienten besser erkennen und das Team kann selbstbewusster und geschlossen auftreten, wenn es zum Ernstfall kommt. Ich würde mir aber auch wünschen, dass mehr Hilfe von außen kommt. Denkbar wäre für mich eine extra eingerichtete Hotline bei der Polizei oder dass das Ordnungsamt in unregelmäßigen Abständen bei den Praxen vorbeifährt, die gerade Notdienst haben.
Finden Sie es deswegen umso wichtiger, dass die Initiative gegen Rassismus, Diskriminierung und Gewalt im Gesundheitswesen ins Leben gerufen wurde?
Avgerinos: Ich muss mir selbst an die Nase fassen, denn ich habe das Thema zu lange ignoriert. Die Initiative finde ich deshalb sehr gut, denn sie sensibilisiert, genauer hinzuschauen und hinzuhören. Leider ist es immer noch ein Tabuthema, über das die wenigsten Zahnärztinnen und Zahnärzte mit ihrem Team sprechen. Ich hoffe sehr, dass sich daran möglichst bald etwas ändert.
Das Interview führte Patrick Deckers, KZV Nordrhein
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