
Niedergelassen mitten im echten Leben – Interview mit Dr. Jochen May
Neugründung in schwierigem Umfeld gelungen
Meine Eltern hatten eine gemeinsame Zahnarztpraxis in Werne an der Lippe, daher war mir die Verantwortung bewusst, die man trägt, aber auch die vielfältigen Möglichkeiten, die man als Selbstständiger in eigener Praxis hat. Und mit organisatorischen Fragen und der notwenigen Infrastruktur kannte ich mich schon ganz gut aus. Darum kam für mich nie in Frage, auf die Dauer angestellt zu bleiben. Nach dem Studium in Kiel dachte ich außerdem, die Assistenzzeit kann ich eigentlich überall machen, und wollte einmal in eine ‚richtige‘ Großstadt, sozusagen ins ‚echte Leben‘.
Damals war eine Übernahme sehr schwer, zumindest ohne ein entsprechendes „Kölsches“ Netzwerk. Zufällig fand ich während der Anstellung eine geeignete leerstehende Immobilie. Der Eigentümer hatte genaue Vorstellungen, was in seinen Innenhof passte – eben eine Arzt- oder Zahnarztpraxis. In der Umgebung der belebten Geschäftsstraße hier in Köln-Sülz gab es allerdings bereits recht viele Kollegen auf engem Raum. Sowohl die Bank als auch der Berater der KZV Nordrhein haben mir dort deshalb nicht zu einer Niederlassung geraten. Ich habe es dennoch riskiert – mit Erfolg!
Durststrecke kreativ überwunden
Bis es richtig gut lief, musste ich eine Durststrecke von über einem Jahr überstehen. Auf der anderen Seite konnte ich von vornherein Einfluss auf meinen Patientenstamm nehmen. Ich habe darauf gesetzt, Patienten mit persönlicher Ansprache zu motivieren, mich zu besuchen. In der speziellen Umgebung eines Viertels mit vielen Akademikern, Uniklinik und Landgericht funktioniert das tatsächlich besser als große Konstrukte mit vielen Angestellten, die es tatsächlich bis heute nicht gibt. Ich habe im Internet geworben, mich überall dort eingetragen, wo ich dachte, dort sind die jungen Leute unterwegs. Meine ersten Patienten sind dann auch Studenten gewesen.
Zudem habe ich gezielt englischsprachige und französischsprachige Patienten angesprochen und etwa über das Konsulat Ehefrauen von Ford-Managern erreicht. Mittlerweile kann ich keine neuen Patienten mehr aufnehmen, das fände ich den alten gegenüber nicht fair. In Köln sind die Wege kurz. Da ist die Hemmschwelle für mich nicht groß, jemanden zum Spezialisten zu überweisen.
Im Zahnärzte-Treff Anonymität überwinden
Während der Assistenzzeit hat mich meine Chefin und Namenscousine Dr. Dr. Petra May zu Veranstaltungen und Treffen vom Freien Verband mitgenommen, sodass ich recht früh in die Standespolitik hineingeschnuppert habe. Als Niedergelassener habe ich dann den etablierten Stammtisch Köln-West kennengelernt, in dem sich Evelyn Thelen sehr engagiert hat. 2019 habe ich von ihr die Organisation des lockeren Treffs übernommen. Wir haben einen festen Termin, jeden zweiten Dienstag im Quartal im Haus Tutt in Bickendorf.
Meist sitzen wir abends nur in kleinerer Gruppe zusammen. Aber ein- bis zweimal jährlich laden wir jemanden zum Beispiel von Kammer oder KZV ein, um unser Treffen fachlich aufzuwerten. Wer interessiert ist, kann gerne am 9. April oder am 9. Juli kommen. Viele Kollegen arbeiten gerade in der anonymen Großstadt mit Tunnelblick allein, bekommen gar nicht mit, was Wichtiges um sie herum geschieht.
Eventuell hat sich der einen oder andere gerade hier niedergelassen, weil er die Anonymität schätzt. Komme ich ins Gespräch, versuche ich ihm zu verdeutlichen: ‚Du bist gar nicht allein mit dieser Problematik, alle um dich herum haben das auch.‘ Man kann sich in unserer Runde durchaus auch – salopp gesprochen – ‚auskotzen‘, aber auch einen brauchbaren Lösungsvorschlag mit nach Hause nehmen. Auf jeden Fall könnten und sollten mehr hier in der Stadt den Austausch untereinander suchen! Wir erleben beim Stammtisch: Wer einmal kommt, findet das dann auch gut.
Schritt für Schritt in die Standespolitik
Solche Gelegenheiten zum Austausch werden natürlich auch regelmäßig vom Freien Verband organisiert. Ich bin schon längere Zeit Mitglied im Kölner Bezirksgruppenvorstand und seit 2023 stellvertretender Bezirksgruppenvorsitzender – wir machen das zu dritt – und Beisitzer im Landesvorstand. Vor vier Jahren hatte man sich entschlossen, die Kammerversammlung zu verjüngen. Ich wurde gefragt, weil ich einer der Wenigen bin, die als Ansprechpartner in Köln sitzen, und weil ich hier sehr aktiv bin. Da passte es, dass ich den Wunsch hatte mitzugestalten. Die Verjüngung muss kontinuierlich erfolgen, da wir auf die große Erfahrung der Älteren auch nicht verzichten können.
Wir haben mit der Selbstverwaltung zum Glück die Möglichkeit, an den Rahmenbedingungen mitzuschreiben, wenn man zum Beispiel ans Gutachterwesen denkt, an die Ausgestaltung von Kammer und KZV. Da kann ich mich nicht darauf zurückziehen, nur zu meckern, wenn etwas schiefläuft. Leider wird es immer schwieriger, unsere Vorstellungen dann auch politisch durchzusetzen. Aber das kann kein Grund sein, die Hände in den Schoß zu legen und es anderen zu überlassen. Mit denen, die uns an vorderster Front gut vertreten, möchte ich zumindest im Moment auf keinen Fall tauschen. Wenn es allerdings notwendig würde, wäre ich bereit, mehr Verantwortung zu übernehmen. Da darf man sich nicht einfach wegducken.
Zeit für die Selbstverwaltung
In der Zahnärztekammer bin ich mit anderen für die Fachsprachprüfung zuständig. Ich bin aber mittlerweile auch Mitglied der Vertreterversammlung der KZV und aktiv in der Wirtschaftlichkeitsprüfung sowie im Prothetik-Einigungsausschuss. Wie ich den Zeitaufwand bewältige? Alles eine Frage der Organisation, zumal sich meine Tätigkeiten auf einige Tage im Monat begrenzen lassen. Aber wenn ich ein Ehrenamt als Belastung empfände, müsste ich es auch nicht fortführen. Wir Zahnärzte können als kleine, recht homogene Gruppe viele Dinge auf der kollegialen Ebene lösen.
In meinem Freundeskreis sehen die, die nicht in freien Berufen unterwegs sind, mein ehrenamtliches Engagement eher mit einem gewissen Unverständnis, unter anderem weil sich die Zeit mit der deckt, die andere für ein Hobby benötigen. Wenn man die Standespolitik nicht mit dem Enthusiasmus angeht, mit dem andere zum Beispiel Sport betreiben, ist man auch verkehrt. Ich glaube, man muss den Willen mitbringen, auch Zeit zu investieren.
Mein Rat: sich besser vernetzen
Ich möchte allen Kollegen raten, sich besser zu vernetzen und dazu die vielen Angebote zu nutzen, ob das hier beim Stammtisch Köln-West ist, oder bei einem anderen Zahnärzte-Treff. Sinn macht auch, Kontakt mit einem Zahnärzteverband aufzunehmen. Schauen Sie, was die Kollegen rechts und links machen. Es muss nicht jeder das Rad neu erfinden und eventuell erst aus eigenen Fehlern klug werden.
Dr. Uwe Neddermeyer, KZV Nordrhein
Zahnärztliche Initiative Köln-West, jeden zweiten Dienstag im Quartal um 19.30 Uhr, Haus Tutt, Fridolinstr. 72, Köln, 0221 9411222, Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein! (Dr. Jochen May)
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