
Beweiswert der AU im Visier
Aktuelle Rechtsprechung hat die prozessuale Lage für Arbeitgeber verbessert, die an der Arbeitsunfähigkeit von Mitarbeitenden zweifeln (LAG Schleswig-Holstein Urt. v. 02.05.2023, Az. 2 Sa 203/22). An sich hat die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung einen hohen Beweiswert. Wer sie vorlegt, hat alles Erforderliche getan, um nach dem Entgeltfortzahlungsgesetz einen Lohnfortzahlungsanspruch gegenüber Arbeitgebenden zu haben.
Das bedeutet, dass erst einmal davon auszugehen ist, dass Mitarbeitende ihre Arbeitsunfähigkeit bewiesen haben. Aktuell lassen Gerichte jedoch zunehmend die Erschütterung dieses Beweiswerts aufgrund der Gesamtumstände zu. In dem vom LAG entschiedenen Fall sah das Gericht gegen den Beweiswert sprechende Gesamtumstände in der „passgenauen“ Erkrankung für die verbleibende Kündigungsfrist einer Arbeitnehmerin nach ihrer Eigenkündigung. Hinzu kam der Inhalt des Kündigungsschreibens, in dem diese ausweislich der Bitte um Übersendung der Papiere und des Zeugnisses sowie der Abrechnung der Urlaubstage deutlich gemacht habe, nicht mehr in den Betrieb zurückzukehren. Die Arbeitnehmerin musste nun den Beweis der Arbeitsunfähigkeit erbringen. Das war ihr nicht möglich. Auch der Arzt hatte insoweit nichts Substantielles beitragen können.
Zweifel bestehen nach aktueller Rechtsprechung auch, wenn der Arzt die Bescheinigung nicht nach einer ordnungsgemäßen und (regelmäßig) persönlichen Untersuchung ausgestellt hat. Die Corona Pandemie hatte hier zu Auswüchsen bei Attesten ohne Arztbesuch geführt, etwa Atteste per Anforderung über WhatsApp. Die Zulässigkeit der telefonischen Krankschreibung wurde mit dem 01.04.2023 einstweilen aufgehoben, wird aber vom Gemeinsamen Bundesausschuss geprüft. Bei der inzwischen ausnahmsweise zulässigen Ferndiagnose ist der Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung je nach Aussteller von vornherein zweifelhaft. Grundsätzlich dessen ist die Videosprechstunde möglich, wenn die Erkrankung dazu geeignet ist, per Video untersucht zu werden und nicht über eine sogenannte unmittelbare körperliche Untersuchung abgeklärt werden muss (§ 4 Abs. 5 AU-RL).
Nicht nur als Arbeitgeber, auch für den ausstellenden Arzt kann dies Relevanz gewinnen. Letztlich bedeutet Arbeitsunfähigkeit, dass die arbeitsvertraglich geschuldete Arbeit nicht erbracht werden kann, nicht allein, dass (irgend)eine Erkrankung vorliegt.
Nicht jeder Arzt wird insoweit nach den arbeitsvertraglichen Umständen fragen, wenn eine Erkrankung ersichtlich vorliegt.
Quelle: Dr. med. dent. Dirk Erdmann Freier Verband Deutscher Zahnärzte, Landesverband Nordrhein (FVDZ-NR) unter Bezug auf heller::kanter RECHTSANWÄLTE, Rechtsinformationen für Zahnärzte III.2023 (RI-ZÄ III/2023), Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!, www.heller-kanter.de
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