Wie Zahnärzte vernachlässigten Kindern und Gewaltopfern helfen können

Seit diesem Jahr dürfen explizit auch Zahnärzte das Jugendamt informieren, wenn sie eine Kindeswohlgefährdung vermuten. Doch die Anzeichen dafür sind nicht immer leicht zu erkennen.

Wer an Kinder aus schwierigen sozialen Verhältnissen denkt, denkt wohl zuerst an Gewalt, an Hämatome oder blutige Wunden. Doch Probleme im Elternhaus zeigen sich häufig subtiler: zum Beispiel im Mund. Ein von Karies geprägter Zahnstatus kann ein Hinweis auf eine Vernachlässigung des Kindes sein. Für Zahnärztinnen und Zahnärzte ist es nicht immer leicht abzuschätzen, ob und welcher Handlungsbedarf über eine Versorgung der Zähne hinaus besteht.

Für diese Situationen gibt es das Kompetenzzentrum Kinderschutz im Gesundheitswesen (KKG) in Köln unter der Leitung von Prof. Dr. Sibylle Banaschak, das Angehörige des Gesundheitswesens bei Fragen rund um den Kinderschutz berät. Ein Thema, das wichtiger denn je ist. Denn die Handlungsmöglichkeiten für Zahnärztinnen und Zahnärzte haben sich jüngst deutlich erhöht.

Während zuvor ausschließlich Ärztinnen und Ärzten rechtlich die Möglichkeit gegeben wurde, bei Anzeichen auf Kindeswohlgefährdung das Jugendamt zu informieren, sind bei dem im Frühjahr vom Bundestag verabschiedeten Kinder- und Jugendstärkungsgesetz (KJSG) nun auch explizit Zahnärztinnen und Zahnärzte genannt. Doch in welchen Fällen sollte das Jugendamt informiert werden?

Bei Auffälligkeiten Eltern und Kind ansprechen

„Eine pauschale Antwort gibt es darauf nicht“, sagt Prof. Banaschak. Vielmehr müsse der jeweilige Einzelfall betrachtet werden. Wenn Spuren von Gewalteinwirkungen bei dem Kind entdeckt werden, sollte der behandelnde Zahnarzt oder die behandelnde Zahnärztin nachfragen, wie es zu der Verletzung gekommen ist. Sollte die Geschichte nicht zu den vorliegenden Verletzungen passen, sollte nachgehakt werden.

„Wichtig ist, nicht nur die Eltern, sondern immer auch das Kind zu befragen“, erklärt Prof. Banaschak. Nicht immer sei dabei eine ehrliche Antwort zu erwarten. „Kinder schützen ihre Eltern.“ Oft könne aber das Verhalten der Eltern, während das Kind erzählt, Hinweise auf mögliche Gewalteinwirkungen geben: „Nehmen Eltern ihren Kindern das Reden ab oder unterbrechen sie, ist Misstrauen angebracht.“

Findet das Gespräch mit dem Kind allein statt, sollten Zahnärztinnen und Zahnärzte neben einer vertrauensvollen Atmosphäre vor allem auf Ehrlichkeit setzen. „Versprechen Sie nichts, was Sie nicht einhalten können“, warnt Prof. Banaschak. Dazu gehört vor allem die Zusage, niemandem etwas zu erzählen. „Wenn das Kind anschließend von Missbrauch berichtet, kann dieses Versprechen unter gar keinen Umständen eingehalten werden.“

Weiterverweisen an einen Kinderarzt

Erhärtet sich der Verdacht, dass das Kind Opfer von Gewalt wurde, sollten Zahnärztinnen und Zahnärzte handeln. Das kann zum Beispiel das Verweisen an einen Kinderarzt oder eine Kinderärztin sein. Dabei sollte gegenüber den Eltern unbedingt auf eine Rückmeldung des Kollegen oder der Kollegin bestanden werden.

Kommen die Eltern diesem Wunsch nicht nach, sollte das Jugendamt informiert werden, was den Eltern auch offen kommuniziert werden sollte. „Wahrscheinlich werden die Patienten danach nicht mehr in die Praxis kommen, aber das ist der Preis, der zu zahlen ist“, erzählt Prof. Banaschak.

Deutlich häufiger als Einwirkungen von Gewalt sind jedoch Fälle von Vernachlässigung. Meist lassen sich diese an einem hohen Anteil kariöser Zähne im Mund erkennen. Die Grenze, ab der in diesen Fällen das Jugendamt kontaktiert werden sollte, lässt sich viel schwieriger als bei häuslicher Gewalt definieren. „Bei einem kariösen Zahn sollte sicher noch nicht das Jugendamt informiert werden“, berichtet Prof. Banaschak, „außerdem hängt es sehr davon ab, ob die Eltern kooperativ sind.“

Umgang mit Eltern: Empathie statt Konfrontation

Zahnärzte und Zahnärztinnen sollten Eltern nicht konfrontieren, sondern versuchen, ihnen eine Brücke zu bauen. „Es ist wichtig, freundlich und empathisch zu bleiben“, sagt Prof. Banaschak, „man könnte beispielsweise sagen ‚Super, dass Sie gekommen sind!‘“ Denn oberste Maxime sollte sein, dass das Kind nicht nur einmal, sondern regelmäßig in die Praxis kommt, um die weitere Entwicklung zu beobachten.

Durch die empfohlenen regelmäßigen Kontrollbesuche haben Zahnärztinnen und Zahnärzte im Vergleich zu anderen Ärztinnen und Ärzten ein gutes Argument. Hierbei kann auch ein Vermerk in der Akte helfen, um den Fall abseits des Zahnstatus im Auge zu behalten. Auch in diesen Fällen kann ein Verweisen an eine Kinderärztin oder einen Kinderarzt hilfreich sein – oder in einzelnen Fällen direkt an das Jugendamt. „Das Jugendamt darf dabei nicht wie eine Strafbehörde dargestellt werden, sondern als ein Anlaufpunkt zur Unterstützung für die Eltern.“

Wie schwierig es im Praxisalltag sein kann, Probleme im Elternhaus zu erkennen, weiß die Düsseldorfer Zahnärztin Annabelle Dalhoff-Jene: „Der Übergang von Vernachlässigung zu einer Kindeswohlgefährdung ist oft schleichend, manchmal ist es schwierig festzulegen, wann man reagieren soll.“ Im Umgang mit den Eltern setzt sie vor allem auf Vertrauen. „Kontakt zu halten und das Kind regelmäßig zu sehen, ist wichtiger, als Eltern zu verschrecken.“ Wenn sie den Verdacht auf Kindeswohlgefährdung hat, versucht sie, regelmäßige Termine zu vereinbaren und auch mit dem Kind allein zu sprechen.

Das Wichtigste sei aber, dass sich jeder und jede in der Praxis dem Problem und der Verantwortung bewusst sei. „Die Zahnärzteschaft und auch die Mitarbeitenden in den Praxen müssen aufmerksam sein und bleiben, denn häufig sind die Hilferufe ganz leise“, so Annabelle Dalhoff-Jene, „und es wäre fatal, sie zu überhören.“

Weitere Informationen

Informationen und Beratung zu dem Thema gibt es beim Kompetenzzentrum Kinderschutz im Gesundheitswesen (KKG) auf der Webseite, per Mail an Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein! und unter Telefon 0221 478-40800.

Außerdem hat das KKG ein Handout für ZFA mit Informationen zum Kinderschutz in der Zahnarztpraxis erstellt, das auf der Webseite aufgerufen werden kann.

 

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