Der neue KFO-Katalog (6): MZA-Leistungen – solides Fundament in stürmischen Zeiten
Das deutsche Gesundheitssystem gewährleistet einen hohen Standard in der kieferorthopädischen Versorgung. Ein solidarisches Krankenversicherungssystem kann aber aus nachvollziehbaren Gründen kein unendliches Leistungsversprechen abgeben. Im letzten Teil der Artikelserie über den Katalog der MZA-Leistungen wird am Beispiel der Lingualtechnik gezeigt, wie die gesetzlichen Neuregelungen die Schnittstellen zwischen dem privaten und dem Solidarbereich verknüpfen.

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Die GKV als eine tragende Säule des deutschen solidarischen Krankenversicherungssystems kann nur eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Versorgung finanzieren, wie es das SGB V vorgibt und damit den vertraglichen Anspruch begrenzt. Es gibt dem gegenüber eine nicht unerhebliche Wirklichkeit in der kieferorthopädischen Versorgungslandschaft außerhalb dieser Normen. Deshalb war es nach der Einführung des Patientenrechtegesetzes 2013 unabdingbar, eine Verknüpfung der Schnittstellen zwischen dem Bereich der Eigenverantwortung und dem Solidarbereich zu schaffen, um allen Patienten ihre erlangten Mitspracherechte bzw. die Teilhabe am Fortschritt des Fachgebietes insbesondere in Bezug auf Komfort und Ästhetik von Behandlungsapparaturen zu ermöglichen.
Folgerichtig musste eine Problemlösung gefunden werden, die den hohen qualitativen Standard der kieferorthopädischen Regelversorgung weiterhin erhält und zusätzlich den Patienten selbstbestimmte Wahlmöglichkeiten eröffnet, die ihren teilweise höchst individuellen persönlichen Wünschen entsprechen. Dass solche Neuerungen gleichwohl nie alle Wünsche erfüllen können, versteht sich von selbst.
Recht der Patienten
Bereits 2016 haben der heutige Ehrenvorsitzende der KZBV, Dr. Wolfgang Esser, und der heutige Vorsitzende der KZBV, Martin Hendges, mit dem TSVG die Weiterentwicklung der kieferorthopädischen Versorgung in der GKV angestoßen. Die engagierte Politik des KZBV-Vorstands schloss zukunftsfest die frühere Regelungslücke zwischen dem vertraglichen Anspruch auf eine zeitgemäß wissenschaftlich fundierte kieferorthopädische Behandlung und dem individuellen Recht der Patienten, die dafür erforderlichen Behandlungsmittel aus einem breiten Angebot nach den jeweils individuellen Bedürfnissen auswählen bzw. ergänzen zu können.
Im Mittelpunkt des MZA-Katalogs stehen diagnostische Maßnahmen und bewährte Behandlungsapparaturen, die einem verbrieften hochwertigen Behandlungsziel dienen, in ihrer Erscheinungsform in Bezug auf Komfort, Ästhetik und Mengen aber variieren und in vielen Varianten aus wirtschaftlichen Gründen nicht vollumfänglich im Vertrag abgebildet werden können. Bedeutsam ist auch, dass die kieferorthopädischen Geräte regelmäßig nur vorübergehend im Mund eingesetzt werden, wodurch sich zweckmäßig strukturierte vertragliche Ansprüche insbesondere in der kieferorthopädischen Regelversorgung gut nachvollziehbar begründen lassen.
Heute können gesetzlich Versicherte neben dem durch die vertraglichen Grundlagen gewahrten Anspruch auf eine qualitativ hochwertige kieferorthopädische Versorgung auf eigenen Wunsch aus einem breiten Angebot an substituierenden und ergänzenden Möglichkeiten, rechtssicher „Mehr-, Zusatz- und Andere“ Leistungen wählen, die ihrer teilweise höchst individuellen Sicht auf den Komfort und die Ästhetik von Behandlungsapparaturen entsprechen.
Lingualtechnik: aufwändig und unauffällig
Für die Verwendung jeder dem Medizinproduktegesetz entsprechenden Bracketart gibt es gute Gründe. Linguale Brackets sind z. B. im Unterschied zu in der Funktion gleichwertigen bukkalen Brackets, ganz gleich, ob diese als Mini Brackets aus Metall oder als weiße Kunststoff- oder als transparente Keramik-Brackets eingesetzt werden, optisch am unauffälligsten.

Lingualsysteme werden u. a. als Komplettpaket mit vollindividualisiert aufeinander abgestimmt gefertigten Brackets und Bögen angeboten. Die hohen Materialkosten derartiger Lingualsysteme können – neben einem angemessenen zahnärztlichen Honorar für die kompliziertere Verarbeitung der Multiband/Bracket-Teile auf den Zahninnenseiten – als Mehrleistung bei Vertragsbehandlungen durch die MZA-Neuregelungen formal korrekt vereinbart werden.
Vollindividualisierter Lingualtechnikfall
Die Abbildungen 1 bis 6 (siehe unten) zeigen einen von Prof. Wiechmann, Bad Essen, dankenswerterweise zur Verfügung gestellten vollindividualisierten Lingualtechnikfall mit herausfordernden Behandlungsaufgaben.






Formulare
In den Abbildungen 7 bis 9 wird am komplizierten Vereinbarungsbeispiel Lingualtechnik nochmals das Zusammenwirken des neuen MZA-Formulars mit einer abweichenden Vereinbarung nach § 2 (1,2) GOZ und einer Sondermaterial- Vereinbarung nach Abschnitt G GOZ anschaulich dargestellt. Erst seit dem Beschluss des Bewertungsausschusses vom 24. April 2023 zu den MZA-Neuregelungen im SGB V, ist es bundesweit einheitlich möglich, im Fachbereich Kieferorthopädie BEMA und GOZ an ihrer Schnittstelle systematisch zu verknüpfen und somit Mehrleistungen in der vertragskieferorthopädischen Versorgung unter Einhaltung der einschlägig bekannten BEMA-und GOZ-Abrechnungs-Formvorschriften formal korrekt und dem Einzelfall angemessen zu vereinbaren. Die in den Abbildungen 7 bis 9 ausgewiesenen Preise und Mengen sind beispielhaft ohne Allgemeingültigkeit zu verstehen; sie können individuell, z. B. durch Rabatte, variieren.




Gegen Anfeindungen immunisiert
Die MZA-Neuregelungen mit ihren eindeutig definierten Möglichkeiten, ihren für Laien klar und gut verständlich lesbaren Formularhilfen sowie den im SGB V verankerten, die korrekte Einhaltung der Bestimmungen gewährleistenden Prüfrechten der KZVen haben sich auch in der hoffentlich bald hinter uns liegenden Krisenzeit bewährt. Es ist sehr bedeutsam, dass die KZBV unseren Berufsstand mit den MZA-Neuregelungen gegen die von Zeit zu Zeit auftretenden Versuche, das kieferorthopädische Fachgebiet und die Kollegenschaft unsachlich zu diskreditieren, im übertragenen Sinne erfolgreich und umfassend flächendeckend immunisiert hat.
Dies war im Übrigen nur aufgrund des langjährig konstruktiven Dialogs des KZBV-Vorstandes mit seinen Ansprechpartnern in der Politik möglich. Ohne das so aufgebaute Vertrauen wären viele Dinge anders ausgegangen.
Diese Immunisierung der KFO durch die KZBV ermöglicht heute Gelassenheit und erübrigt lästige Reaktionen auf Medienkampagnen, weil sie die sich in wechselnden Abständen wiederholenden, Einzelfall bezogenen, bekannt tendenziösen Vorhaltungen ohne Bezug zum großen Ganzen und immer wieder negativ flankiert von denselben Personen, a priori in die Bedeutungslosigkeit verweist; also dorthin wo sie hingehören.
Wichtiger Teil der Zahnheilkunde
Nachdem die Mundgesundheitsstudie DMS- 6 bereits anschaulich den hohen präventiven Stellenwert der Kieferorthopädie für die Mundgesundheit und die zielgenaue, positive Versorgungsrealitätwissenschaftlich gut nachvollziehbar belegen konnte, bestätigte nunmehr auch eine Studie einer großen deutschen Krankenkasse vor kurzem den präventiven Charakter von kieferorthopädischenBehandlungen.
Dass sich regionale Unterschiede bei der Inanspruchnahme von kieferorthopädischen Leistungen in unserem Land ergeben können, deckt sich mit Erfahrungen aus anderen medizinischen und zahnmedizinischen Leistungsbereichen und liegt bei der föderalen Organisationsstruktur Deutschlands, verbunden mit der Notwendigkeit eines solidarischen Finanzausgleichs unter den wirtschaftlich verschieden leistungsfähigen Bundesländern, ebenso auf der Hand, wie eine unterschiedliche Interessiertheit bzw. ein differenziertes Engagement von Jungen und Mädchen für kieferorthopädische Behandlungen. Die aus der Krankenkassenstudie gewonnenen Erkenntnisse regen an, darüber nachzudenken, wie Jungen gerade in der pubertären Alterskohorte noch besser für die KFO als eine Form der Prävention motiviert werden können. So könnten die medizinischen Behandlungsbedarfe landesweit gleichmäßig in der Bevölkerung gewährleistet werden, damit möglicherweise regional und in unterschiedlichen Sozialstrukturen keine Unterversorgung von männlichen Patienten entsteht.
Weitere Entwicklung
Die vertragskieferorthopädische Versorgung der Bevölkerung in Deutschland bietet einen weltweit einmalig hohen Standard mit gesichert zeitnahem und wohnortnahem Zugang zu einer Behandlung für alle sozialen Schichten. Wahlrechte von Patienten sind mit den MZA- Neuregelungen bedarfsgerecht gewahrt und die Teilhabe am medizinischen Fortschritt ist objektiv gesichert.
Zahn- und Kieferkorrekturen mögen sich in ihrer Bedeutsamkeit fürs Überleben von der Herzchirurgie unterscheiden, aber solange Erwachsene illegal und legal Rauschmittel, Drogen und sonstige schädliche Substanzen konsumieren können und die daraus entstehenden Gesundheitsschäden im Reparaturbetrieb der Sozialsysteme mit hohen Kosten für die Solidargemeinschaft therapiert werden, lässt es sich nicht vertreten, Kindern, die für Zahn- und Kieferfehlstellungen nie verantwortlich sein können, ihren Anspruch auf den Biss fürs Leben weiter einzuschränken. Dies sollten sich die redundanten Kritiker des Fachgebietes zuallererst vor Augen halten.
Kein Luxusgut
Ein funktionales Gebiss mit geraden Zähnen als Luxusgut nur für Kinder von Familien, die sich aus der Vertragsversorgung ausgegrenzte, medizinisch notwendige Behandlungen leisten können, das kann und darf nicht sein! Mangelnde Zahn- und Kieferkorrekturen dürfen kein Indikator für die soziale Herkunft eines Kindes sein. Die kieferorthopädische Versorgungsrealität in Deutschland spiegelt weit überwiegend genau diesen Anspruch unserer Kinder an die Generationengerechtigkeit. Mit den neuen MZA-Regelungen ist sie auch vollwertiger Bestandteil der sozialen Marktwirtschaft.
Es genügt ein kurzer Blick auf das englische NHS, um zu erkennen, dass es wenig hilfreich erscheint, andere Länder, die sich eine mit Deutschland vergleichbare, öffentliche ärztliche und zahnärztliche Versorgung ihrer Bevölkerung volkswirtschaftlich nicht leisten können oder wollen, zu populistischen Vergleichen heranzuziehen.
Die heutige deutsche Vertragskieferorthopädie stellt in Verbindung mit den neuen MZA-Regelungen ein stabiles Fundament für eine umfassende und zukunftsfeste kieferorthopädische Versorgung aller Patienten dar und kann mit dieser soliden Basis bei Fortschreiten der Erkenntnisse im Fachgebiet, von Zeit zu Zeit ggf. bedarfsgerecht weiterentwickelt werden, sofern nicht die Gesundheitspolitik durch unsinnige Budget- oder sonstige gesetzliche Regelungen, vernünftiges Handeln bei allen Beteiligten verunmöglicht.
Der für die Neuregelungen verantwortlichen KZBV-Mannschaft, insbesondere dem Vorsitzenden, Martin Hendges, und dem Ehrenvorsitzenden, Dr. Wolfgang Esser, gebührt zum Schluss nochmals der uneingeschränkte Dank für die durch ihr weitsichtiges Handeln geschaffenen, rechtssicheren therapeutischen Wahlmöglichkeiten zum Wohle der Patienten.
Dr. Karl Reck, KFO-Referent der KZV Nordrhein
Weitere Teile finden sie hier:
- Teil 1 oder Rheinisches Zahnärzteblatt, Ausgabe 11/2023 ab Seite 16
- Teil 2 oder Rheinisches Zahnärzteblatt, Ausgabe 1/2024 ab Seite 18
- Teil 3 oder Rheinisches Zahnärzteblatt, Ausgabe 2/2024 ab Seite 34
- Teil 4 oder Rheinischen Zahnärzteblatt, Ausgabe 3/2024 ab Seite 16
- Teil 5 oder Rheinisches Zahnärzteblatt, Ausgabe 5/2024 ab Seite 8
- Teil 6 oder Rheinisches Zahnärzteblatt, Ausgabe 7-8/2024 ab Seite 24